Im Zug trifft man ja die unterschiedlichsten Menschen. Heute hatte ich das Glück einen Soldaten der Bundeswehr kennen zu lernen. Eher schmächtig, stationiert in der Nähe von Berlin und zuständig für die Sicherheit von ausländischen Diplomaten und Informanten passte er nicht so ganz in das Schubladenbild eines Soldaten.
Obwohl er im Gespräch einige interessante Aspekte seines Berufs aufzeigte, fand ich gerade eine kleine Randinformation besonders erwähnenswert. So gebe es für Länder in denen ein Konflikt möglich erscheint, einen Evakuierungsplan, um Touristen und Zivilisten bei einer Gefahr schnell außer Landes bringen zu können. In großen Ordnern sind so alle Informationen über Routen, Strassen, Häfen und Landebahnen zusammengefasst und müssen im Ernstfall nur aus der Schublade geholt und umgesetzt werden.
Um diese Ordner zu erstellen, arbeite ein 4- bis 6-köpfiges Team einige Wochen vor Ort. Meist nehme man sich drei aneinandergrenzende Länder vor und fahre diese ab. Dabei werde gecheckt, in welchem Zustand die Straßen und Brücken seien und mit welchen Fahrzeugen man sie befahren könne. ,,Nur weil bei Googlemaps eine Brücke eingezeichnet ist, heißt das nicht, dass es die auch wirklich gibt.“ , erzählte der Soldat. Außerdem werde bei diesen Aufklärungstouren einige Fotos gemacht, stets mit GPS-Kennung.
Die Teams reisen als Diplomaten und in zivil. Häufig hätten sie auch einen Rucksack mit Bargeld dabei, damit sie überall weiterkommen könnten.
Zurück zu Hause werden die Daten zusammengefasst und ausgewertet. Er selbst habe hierbei geholfen und als Vertretung für die Aufklärungsteam gedient.
Sobald zum Beispiel ein Bürgerkrieg bevorstehe, reise das Aufklärungsteam mit weiteren Soldaten in das Land und versuche dann die Zivilisten über die Routen zu evakuieren. Problematisch sei es nur, wenn Amerikaner eine ähnliche Route nutzen wollen und man so in einem Konflikt gerate. Mit europäischen Staaten schließe man allerdings häufig Bündnisse. So sei es auch in Libyen geschehen, kurz bevor man Gadaffi aufgefunden habe. Da hätte man mit zwei Maschinen sowohl Briten wie auch Deutsche abgeholt.

Was mich an dieser Geschichte ansprach war, dass es etwas ist, von dem ich noch nie gehört habe. Jeder von uns weiß, dass die Bundeswehr Auslandseinsätze hat. Darüber wird in den Medien berichtet.
Doch von solchen Evakuierungsplänen oder riesigen Truppenübungsplätzen in Deutschland weiß ich nichts. Nicht nur bei der Bundeswehr geht es mir so, dass ich auf Themen unter der Oberfläche stoße, von denen ich nichts ahnte. Beim gesamten Staatsapparat, bei historischen Ereignissen, in der Wirtschaft oder beim Lesen einer Biographie: immer wieder passiert es mir, dass ich etwas erfahre, womit man nicht gerechnet hätte. Und das muss keinesfalls erschrecken.
So lernte ich neulich beispielsweise einen Industriekletterer kennen. Also jemanden der auf Baustellen oder in Gebäuden an Stellen klettert, an die man mit keiner Hebebühne kommt und dort dann Arbeiten verrichtet. Nie zuvor hatte ich davon gehört, dass es einen solchen Beruf gibt.

Eigentlich ist es doch schön, dass wir immer noch neues Kennenlernen können, das davor in unserem Weltbild nicht vorkam. Und andererseits zeigt die Geschichte der Evakuierungspläne wieder mal, dass es von Vorteil ist, wenn man sich sein eigenes Bild macht. Denn oft ist es wie beim Eisberg und ein Großteil steckt unter der Oberfläche.